Ehrenbürger von Luzern

Am 28. Juni 1909 erhält Spitteler vom Präsidenten des Ortsbürgerrates die Mitteilung, die Stadt Luzern verleihe ihm, Dr. Carl Spitteler, als «Anerkennung» seines «Verdienstes auf dem Gebiete der Litteratur mit Einstimmigkeit das Ehren-Bürgerrecht». Auch seine Frau und seine beiden Töchter würden diese Ehre erhalten.
(Der Doktortitel ist ein Ehrendoktortitel der Universität Zürich, den Spitteler 1905 erhalten hat. 1915 zum 70. Geburtstag erhält er einen zweiten Ehrendoktortitel, denjenigen der Universität Lausanne.)

Präsident des Ortsbürgerrates von Luzern an Dr. Karl Spitteler, Montag, 28. Juni 1909
Quelle: Stadtarchiv Luzern, B2N/0644 4.01 Einbürgerungen

Seiten 1 und 4

Spitteler muss, damit die Urkunde für die Ehrenbürgerschaft ausgestellt werden kann, in einer kurzen Familienchronik die Lebensdaten seiner Eltern, Schwiegereltern, seiner Frau und seiner beiden Töchter einreichen. Am Donnerstag, 1. Juli 1909, kommt Spitteler dieser Aufforderung nach.

Seiten 2 und 3

Quelle: Stadtarchiv Luzern, B2N/0644 4.01 Einbürgerungen

Nach der Übersendung der Urkunde dankt Spitteler der Stadt Luzern mit einem Brief, den er am Dienstag, 23. November 1909, geschrieben hat.

Quelle: Stadtarchiv Luzern, B2N/0644 4.01 Einbürgerungen

Seite 1

[1]
An den Tit: Ortsbürger-Rath der Stadt Lucern //

Hochgeehrter Herr Praesident, //
Hochgeehrte Herren, //

Empfangen Sie den Ausdruck meines
ergebenen Dankes für die hohe
Auszeichnung,
welche Sie mir und den
Meinigen durch die Verleihung des
Ehrenbürgerrechtes zuwenden mochten,
und deren Größe und Bedeutung [ich] wohl
zu werthen weiß. //
Wenn Sie in so liebenswürdiger Weise
diese Ehrung als eine «Anerkennung»
bezeichnen, so fasse ich sie meinerseits
gerne als eine Erwiderung der freund-
schaftlichen Gesinnung auf, die
ich für die Einwohnerschaft der Stadt
Lucern hege, von der ich aber bei
meiner zurückgezogenen Lebensweise
kaum zu hoffen gewagt hätte, daß sie
gegenseitig sei. //
Die bloße Thatsache für sich allein, daß
ich mit meiner Familie, obgleich mich

Seite 2

[2]
weder Beruf noch Pflicht an einen
bestimten Ort binden, nun schon
siebenzehn Jahre in Ihrer Stadt wohne,
bürgt Ihnen für die Aechtheit mei-
ner Sympathie für Lucern und die
Lucerner Bevölkerung. Doch ist es
mir Bedürfniß, bei diesem Anlaß
noch ausdrücklich auszusprechen,
wie sehr ich mich durch die weit-
herzige und verstädnißvolle Gast-
freundschaft, die mir die Bevölkerung
Ihrer Stadt alle Zeit und alleseits ge-
währen mochte, verpflichtet fühle.
Ich habe in den siebenzehn Jahren
meines hiesigen Aufenthaltes viele
Zuvorkommenheiten und Liebens-
würdigkeiten und nicht eine einzige
Unannehmlichkeit erfahren. Manche
sind mir Freund geworden, Niemand
ist mir je unfreundliche begegnet. //
Gerüchteweise, aus weiter Ferne habe
ich von Parteiungen und Gegen-
sätzen gehört; zu spüren habe ich nie
etwas davon bekommen. Man
hat mir die Gunst erwiesen, mich
davon auszunehmen und mir aus jedem
Lager nachsichtiges Wohlwollen entgegen-

[3]
zu bringen. Diese duldsame∫ Begünstigung ist von
mir nicht unbeachtet geblieben;
sie hat mich als Schriftsteller gestärkt
und in meiner stillen Arbeit erhebend
ermuthigt, als Privatman zur Bescheidenheit
gemahnt; sie hat mich sogar – ich schäme mich
nicht, es zu sagen – gerührt und damit
herzlich mit der hiesigen Einwohnerschaft
verbunden. //
Indem ich nun hiemit, hochgeehrter Herr
Praesident, hochgeehrte Herren, Sie höflich
versuche, meinen Dank zu genehmigen
und ihn meinen lieben neuen
Mitbürgern zu vermitteln, spreche
ich zugleich die Bitte aus, Sie möchten
mir die bisher geschenkte nachsichtige
Gewogenheit auch fernerhin gewähren. //
Gestatten Sie mir zum Schlusse, Sie noch zu dem
vortrefflichen Künstler zu beglückwünschen,
welcher die mich auszeichnende Urkunde
so meisterlich ausgeführt hat. //
In Ehrerbietung //
Ergebenst //
Carl Spitteler //
Lucern //
23 Nov. 1909